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Meine Quelle

Ich gehe die Köln-Aachener-Straße vom Bahnhof aus Richtung Bergheim. Lange Zeit ist es her, dass ich die Hauptader entlang ging. Nun ist es 2015, aber ich gehe, wie im Jahr 1990.

Jahre sind vergangen, wo ich in Ruhe die Läden anschauen und mir ein Bild machen konnte. Man wird älter, die Beine werden durch das Auto ersetzt, man lebt schneller und die Zeit scheint schneller vorbei zu ziehen, als man sich fortbewegt. Viele Läden, deren Besitzer man sogar kannte, sind dem Erdboden gleich gemacht worden. Sie sind weg!

Ich stehe! Geschlossen! Bei Bedarf bitte anrufen!

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Unser Schreibwarenladen Kelleter. Geschlossen! Still gelegt, wie manche nicht verkaufte Waren, die jetzt das Schaufenster schmücken. Die verblassten Farben auf den Verpackungen machen mir klar, dass es schon länger geschlossen sein muss. Ein Teil Quadrather Geschichte, ein großer Teil Quadrath-Ichendorf ging in meinen Augen unter. Eine Seifenblase voller Erinnerung spiegelte sich vor meinen Augen ab, und die Angst durch Veränderungen mehr zu verlieren, als wir zu besitzen glaubten.


 

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Es ist 1989 , als ich eingeschult wurde, heisst meine Grundschule noch Glasbläserbrunnen Grundschule. Ich bin aufgeregt, schüchtern was meine Nervösität steigert. Heute bekomme ich meinen ersten Schulranzen mit allem drum und dran. Es soll ein Scout sein, was meine ganzen Bücher tragen sollte.

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Wir kommen rein in den Laden und ich sehe die Frau Kelleter, wie sie über ihre Brille guckt und zu meinem Vater und mir rüber schaut, anlächelt und uns dann bedient. Der erste Eindruck ist nicht der wichtigste, aber es ist das was die Meisten im Unterbewusstsein prägt. Sowie die Frau Kelleter, die für jeden Quadrather nahezu ein Begriff ist.


 

Mein Blick ging nicht ganz über die Tresen. Mein frontaler Blick schaffte es bei meiner Körpergröße lediglich über den Balken an der Glastheke. Ich stützte mich ab um zu sehen, was die Frau Kelleter zu verkaufen hatte. Mein Vater und ich wollten meine ersten Schulbücher binden lassen, aber mein Augenmerk ging Richtung Knallkörper, die so aussahen, wie große ungeöffnete Bonbons. Hinter mir streckte sich eine Sammlung verschiedener Zeitschriften. Unter anderem auch die Dinosaurier und YPS Hefte, die damals jedes Kind gekauft hatte.

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“In Quadrath hat man gelebt und was erlebt!”

Unsere Hauptstraße war immer schon voller Leben. Viele wissen gar nicht, dass wir früher ein Kino auf der Hauptstrasse hatten, wo jetzt eine Bankfiliale drin ist. Es war ein Leben, es war ein Erlebnis in Quadrath zu wohnen.

Aber als Kind, war Kelleter für mich immer schon ein Erlebnis, wenn man deren Schaufenster anschaute. Jede Jahreszeit oder an jedem Festtag wurde das Schaufenster geschmückt mit Waren und vielen Kleinigkeiten, die die Übersicht des Ladens wiederspiegelten.


 

Meine Jahreszeiten

Die erste Tür, die ich an St. Martin betrat war die Tür, die jetzt verschlossen auf ihre Auswechslung wartet. Der Duft von Schreibwaren, offen stehenden Spielzeugen und der Mix aus verschiedenen Magazinen und Romanen setzten sich zu einer Duftnote zusammen, was ich bis zum heutigen Tage mit meiner Grundschulzeit verbinde.

An Weihnachten war das Schaufenster voller Lichter, Weihnachtskugel und unzähligen Weihnachtsschmuck. Da meine Familie kein Weihnachten gefeiert hatte, blieb uns nichts weiter übrig, ausser das Angucken der Lichter in den Schaufenstern. Die Sterne, die an den Straßenlaternen drangemacht werden, sind immer noch die Selben, wie vor Jahrzenten. Nicht alles hat sich verändert, wie auch die gestapelten, gelagerten Arbeitshefte und Mappen, die ich noch aus meiner Kindheit kenne.

Während des Karnevals kauften wir unsere Munition für unsere Spielzeugpistolen im Kelleter, und wenn die Frau Kelleter nicht sehr beschäftigt war, gab es immer wieder Süßigkeiten als Geschenk. Auch wenn keine Süßigkeiten vorhanden waren, ein Lächeln hat man garantiert bekommen.

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Als wir dann Sommerferien hatten, war das Schaufenster voller Schultüten, und bunten Mappen und Heften. Der Füller, der durfte natürlich nicht fehlen. Mein erster vernünftiger Füller war der von Lamy, mit der Holzoptik und dem roten Würfel am Ende des Füllers. Nach einem halben Schuljahr konnte man schon die Bissabdrücke an dem Würfel sehr gut erkennen. Bei jedem Schulkind.


 

Candy

Ich würde behaupten, es liegt nahezu im Erbgut der türkischstämmigen Bürger, erstmal Angst vor Hunden zu haben. So wie ich in meiner Kindheit. Die Hunde brauchten nur ihren Kopf zu heben und man hatte nur noch eine Staubwolke gesehen. Candy , der wuschelige Hund von der Frau Kelleter. Er war groß. In meinen Kinderaugen und in meiner Welt war er riesig. Aber bewegt hat er sich kaum.

Wir wohnten zu meiner Schulzeit noch an der Graf-Otto-Straße. Das hieß für mich, dass ich jeden Tag mindestens zweimal über die Hauptstraße gehen musste, um zur Schule zu gelangen. Was unweigerlich dazu führte, dass ich die Schaufenster von unten bis oben betrachten konnte. Ich kam oft in den Laden von der Frau Kelleter rein. Auch wenn es Kleinigkeiten waren, traute ich mich mit jenem kleinen Einkauf an Candy. Meine Angst, meine Vorurteile gegenüber Hunde verschwand. Sowie die Angst vor dem Unwissen. Dem Unbekannten.

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Unsere Geschichte

Ich stehe nun vor und anschließend in dem Laden, wo meine Erinnerungen sich wie ein Film abspielt, den man schon so oft gesehen hat, aber nochmal anschauen will, um jedes Detail aufzunehmen.

Nun sitze ich hier und rede mit der Frau Kelleter. Ihre Augen funkeln, wenn sie von früher erzählt. Dann springt der Funken auf ihre Wangen. Es ist nicht leicht. Ich verstehe sie, ich verstehe sie sehr gut. Ein Teil Quadrath, dass 70 Jahre lang die Quadrather bediente. Ist dabei Geschichte zu werden.

Geschichte, wie die unverkauften Romane hinter der Eingangstür. Eine Geschichte ohne Happy End. Eine Geschichte für die Menschen aus Quadrath, das bald für immer als eine Geschichte in den Köpfen der Bewohner sein wird.

Wir reden mit viel gläsernden Augen, schmunzeln und ein “Ach war das schön damals”. Was ich selber nicht wusste war, dass die aktuellsten Schallplatten es hier zu kaufen gab. Die Hauptstrasse war sogar Abends eine Anlaufstelle für Jung und Alt.

“Früher war die Hauptstraße so voll, dass die Menschen schon in der zweiten Reihe geparkt hatten”

Die Parkplätze! Die unnötigen Parkplätze, haben viel runter gezogen. Man mag es in der jetzigen Zeit gar nicht glauben, aber die Kunden blieben aus. Die Kunden wollten nicht mehr Parkgebühren bezahlen um in einem Einzelhandel etwas kaufen zu können. Der Kunde geht lieber in den Supermarkt, wo er seine Schreibwaren und seine Nahrungsmittel gleichzeitig kaufen konnte oder bestellte es Online. Da bleibt keine Zeit für den Einzelhandel, vorallem bleibt da keine Zeit sich an Erinnerungen fest zuhalten. Wir leben schnell, schneller als uns manchmal lieb ist.

Vielen Dank für diese erwähnten, unerwähnten und wertvollen Erinnerungen Kelleter.

Erhan Iyimli

Alle Fotos von Erhan Iyimli