Klaus der Geiger und Marius Peters
Immer doller!
„Klaus der Geiger“ ist eigentlich ein viel zu eingeschränkter Name für dieses Phänomen, das mit bürgerlichem Namen Klaus von Wrochem heißt. „Klaus der Konzert-Violinist“, „Klaus der Kämpfer für soziale Gerechtigkeit“, „Klaus der Singer/Songwriter“, „Klaus der Musiklehrer“, „Klaus der Komponist“ – diese Bezeichnungen umreißen sein Wirken sicher besser, wären aber für eine kurzes, knackiges Werbeplakat zu umfangreich. Bleiben wir also bei „Klaus dem Geiger“, denn unter diesem Synonym ist er nicht nur in Köln, sondern, ja, sagen wir es ruhig: weltweit bekannt – nach Auftritten z.B. in den USA, in Weißrussland und Japan.
Er studierte an der Musikhochschule in Köln, spielte in verschiedenen Sinfonieorchestern, arbeitete beim WDR. Er erhielt ein Stipendium für Kompositionslehre in den USA und kam dort in Kontakt mit der Hippiebewegung der 60er Jahre. Das machte ihn sensibel für jegliche Form von sozialer Ungerechtigkeit. Er zog in Köln in eine Kommune ein und begann Straßenmusik zu machen. So gut wie alle Kölner kennen ihn: Wie er mit seinem selbstgebauten Geigen-Rundbogen das Instrument lustvoll und virtuos malträtiert, dazu Texte über Politik, Ausbeutung, Umweltzerstörung und Unterdrückung singt.
Jetzt gab er dem Gleis11 die Ehre: Mit seinem Gitarren-Kollegen Marius Peters präsentierte er das Programm „Immer doller!“ Ja, der Titel passt: Denn wer erwartet hatte, dass „nur“ der Straßenmusiker mit seinem Rundbogen und den Politsongs antreten würde, wurde positiv überrascht – hier zeigten sich zwei herausragende Musiker, die in Klassik, Folk, Jazz, Tango und Sinti-Grooves zu Hause sind, die miteinander improvisierten und zwischendurch dem Publikum den Hintergrund mancher Songs erklärten.
Marius Peters war dabei ein kongenialer Begleitmusiker, er und Klaus haben eine Gemeinsamkeit: die Musikhochschule Köln. Allerdings lag ihr jeweiliges Studium exakt 50 Jahre auseinander. Marius steuerte eine eigene Komposition bei: „The Hills of Scotland“, inspiriert durch einen regenreichen Zelturlaub in Schottland.
Natürlich wurde es auch kritisch und politisch: In einem Song unterhält sich Klaus mit dem Geld, das auch nicht mehr das ist, was es mal war: Inzwischen regiert nur noch Betrug, Geiz und Gier, aber: „Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit – dafür wäre jetzt die richtige Zeit!“
Irritation kam auf, als Klaus ein Corona-Loblied ankündigte. Schnell wurde klar, wie recht er hatte: Kein Konsum, kein Fluglärm, kein Autostau, keine Eile – weniger ist mehr! „Corona, du bist unsere Chance, du zeigst uns den Weg!“
Als die beiden Musiker eine Melodie aus dem 16. Jahrhundert anstimmten, summte das Publikum nach ein paar Takten mit: „Scarborough Fair“, berühmt geworden durch Simon&Garfunkel aus den 60er Jahren.
Am Ende wurde es versöhnlich: „Das Leben ist schön“ hieß der letzte Song des Abends. Und natürlich wurde eine Zugabe verlangt: Eine originelle deutsche Version des Beatles-Songs „When I’m 64“ bot sich an mit dem Refrain: „Nur weil ich alt bin lasst mich nicht hängen – steckt mich nicht ins Heim!“
Leider trauten sich in diesen Zeiten nur wenige Zuschauer*innen ins Gleis11, unter „normalen“ Umständen hätte es großen Andrang gegeben. Ein Lob an die Betreiber der Location: Die Hygiene-Regeln wurden konsequent und originell umgesetzt, Wege markiert, Desinfektionsmittel und Sitzplatz-Belegungslisten parat gehalten, lustig dabei: „mit dem Aufzug runter zu den Toiletten, zu Fuß wieder rauf!“
Ein denkwürdiger Abend!
Bernd Woidtke