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Erben oben klMax Erben in Gleis11

„Nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, ist barbarisch,“ schrieb der große deutsche Sozialphilosoph Theodor Wiesengrund Adorno 1949. Max Erben trug am 12.1.2020 Gedichte und Lieder zur Gitarre über jüdisches Leben vor – ist das legitim?

Ja. In Zeiten des wiedererstarkenden Antisemitismus, in Zeiten, in denen der Nationalsozialismus vom Vorsitzenden einer im Bundestag vertretenen Partei als „Fliegenschiss“ bezeichnet wird, ist das nicht nur legitim, sondern notwendig. Es ist dem Gleis11 und dem Veranstaltungsleiter des Medio, Schobbe Vois, hoch anzurechnen, dass man Max Erben mit seinem Programm „Zuhause – Jüdisch. Heute. Hier“ holte. Und das Publikum war da, in größerer Zahl als erwartet und hörte jiddische Lieder, Chansons von Georg Kreisler und Georges Moustaki, Vertonungen von Gedichten von Kurt Tucholsky, Heinrich Heine, Erich Mühsam und anderen, Anekdoten, Geschichten und jüdische Witze. 

Georg Kreisler, Wiener Sänger, Komponist und Dichter, gerühmt für seinen anarchistischen schwarzen Humor, lieferte den Grundgedanken des Abends: „Ich fühl mich nicht zu Hause“ heißt sein Couplet. Es handelt von einem jüdischen Ich-Erzähler, der sich weder bei seiner wohlhabenden Schwester, deren Mann gestorben war, noch bei seinem Bruder, der als Millionär in New York lebt, erst recht nicht bei seinem Schwager Mojsche Grün auf der Hazienda in Argentinien wohlfühlt – nirgendwo ist er zu Hause. Selbst für Israel, das Land, auf das er als Jude hofft, kann er sich nicht erwärmen. So kehrt er zurück in sein „geliebtes Stätel“, wo er misstrauisch beäugt und getreten wird: „Hier kann man mich benützen – Und hier geh ich zu Grund.“ Es beschreibt im Grunde die jüdische Odyssee seit 2000 Jahren, die Unbehaustheit, die im Holocaust ihre Katastrophe fand. 


Erben kl


Max Erben berichtet über die Autorin Lea Fleischmann. Sie war Lehrerin in Deutschland, Tochter jüdischer Eltern, die den Holocaust überlebt hatten. Sie war Studienrätin, deutsche Beamtin, gab aber 1979 ihre sichere Stellung auf und wanderte nach Israel aus. In ihrem Buch „Dies ist nicht mein Land“ schreibt sie sehr kritisch über Deutschland, nicht nur wegen des Holocaust, sondern wegen deutscher Eigenschaften, die sie immer noch erschaudern lassen: Aus perfekten Faschisten wurden perfekte Demokraten in der BRD und perfekte Kommunisten in der DDR. Andererseits aber sagt sie, dass sie nie dieselbe Vertrautheit wie mit ihrem Geburtsland erleben würde: Die Hälfte der Israelis sind Einwanderer von Überall, das ergebe ein sehr spezielles Nationalbewusstsein.

Walter Mehring war auch so ein Unbehauster. Einer der bekanntesten und wichtigsten Dichter der Weimarer Zeit - neben Tucholsky und Ossietzky gehörte er zu den literarischen Berühmtheiten -, wurde er als Jude und als unbotmäßiger Schriftsteller von den Nazis verfolgt, entging der Verhaftung durch die SA nur knapp und ging ins Exil: Frankreich, Martinique, USA. Er kehrte 1953 nach Europa zurück, lebte in Berlin, Hamburg, München, Ascona, Zürich, wo er 1981 starb. Niemals nach seiner Rückkehr lebte er in einer Wohnung, immer im Hotel – keine feste Bleibe, kein Zuhause – „Ich fühl mich nicht zu Hause“.

Max Erbens Programm ist ein ernsthaftes, mitunter deprimierendes. Und dennoch gab es auch zu lachen. Der jüdische Witz ist berühmt, immer aber bleibt das Lachen im Halse stecken. Beispiel: Ein Jude geht durch einen deutschen Bahnhof, heute. Fragt einen Reisenden: Sind Sie Antisemit? Nein, wo denken Sie hin? Fragt den nächsten: Sind Sie Antisemit? Ach was, diese Zeiten sind vorbei! Und noch einen: Sind Sie Antisemit? Ach wissen Sie, um das mal klar zu sagen: Ich kann Juden nicht leiden! Ok, wären Sie dann so freundlich, kurz auf meinen Koffer aufzupassen, so lange ich auf der Toilette bin? Klar, aber wieso ich? Weil Sie der einzige sind, der ehrlich ist. 

Oder die Geschichte vom reichen Juden, der seine Tochter verheiraten will. Ein Freier erkundigt sich intensiv: Ist sie schön? Ist sie gesund? Und bekommt sie wirklich eine Mitgift von einer Million? Ja, alles korrekt! Kann ich mal ein Foto sehen? Entrüstete Antwort: Wissen Sie nicht, wie eine Million aussieht?

Man kann all die wundersamen, mitunter sehr traurigen aber auch aufbauenden humorvollen Geschichten über all die in die Flucht geschlagenen oder ermordeten jüdischen Geistesgrößen, die Max Erben in seinem Programm vorstellt, gar nicht alle in diesem Artikel unterbringen. Dass es nach dem Krieg 20 Jahre dauerte, von 1968 bis 1988, bis sich die Stadt Düsseldorf erbarmte und ihre Universität nach einem der größten deutschen Dichter, Heinrich Heine, Jude, benannte, beschämt heute noch. Selbst sein Übertritt zum Protestantismus 1825 konnte die Düsseldorfer Stadtoberen lange Zeit nicht erwärmen. Heinrich Heine hatte dazu schon in den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts die Antwort in seinem Gedicht „Testament“ gegeben:

„Ein treues Abbild von meinem Steiß

Vermach ich der schwäbischen Schule; ich weiß

Ihr wolltet mein Gesicht nicht haben, 

Nun könnt ihr am Gegenteil euch laben.“

Neben den vielen musikalischen und literarischen Programmen in Gleis11 sticht dieses heraus durch seine Haltung, seine Aufrichtigkeit. Das brauchen wir in dieser Zeit.

Übrigens: Max Erben ist nicht jüdischen Glaubens. 

Wer mehr über Max Erben erfahren will, sollte auf seine Website schauen. 

Bernd Woidtke