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Die U.-Frage: Nenne mir nur einen Grund ...

Da kommen wir 1980 als junge Familie, wie viele andere auch, dem Beruf hinterher - in den Erftkreis. OK, heute Rhein-Erft-Kreis.
Irgendwie war alles wie im Schlaraffenland. Alles war greifbar nahe - man musste es sich nur leisten können. Genau wie heute. Vieles gab es auch umsonst. Eine Normalität für uns, die noch lange nicht überall auf der Welt normal ist: eine funktionierende Umwelt. Damit meine ich nicht nur die Natur.

Damals waren mir solche Überlegungen fremd. Als junger Familienvater hat man ganz andere Interessen als sich über eine Normalität im Ort Gedanken zu machen.

 

Nun, da unsere Kinder selber in der Situation sind, die ich gerade angedeutet habe, bleibt für uns Älteren deutlich mehr Zeit zum Denken. Man bekommt einen gewissen Abstand zu Dingen, die uns früher wichtig waren. Man sieht langsam Zusammenhänge von scheinbar unabhängigen Ereignissen. Und - man spürt langsam das Bedürfnis erwachen, etwas von dem zurück zu geben, was man früher von den anderen wie selbstverständlich bekommen hat:

Engagement und Ehrenamt im Dienste der Allgemeinheit.

Das fing bei mir ganz schleichend an. Im Sportverein entstehen Freundschaften. Durch Veränderungen im Verein wird irgendwann Hilfe benötigt. Keine großen Aufgaben - aber wichtig, damit etwas bewegt wird. So entsteht schnell eine gewisse Sicherheit im Umgang mit Kameraden als auch mit (noch) fremden Mitmenschen. Das, was vorher befremdend war, wird zur Routine: sich in der Allgemeinheit nützlich machen.

Irgendwann war es notwendig, dass einige von uns den Übungsleiterschein machen mussten, damit unser Sportbetrieb für die Zukunft gesichert werden konnte. Eine kleine Herausforderung, das darf ich gerne verraten. Aber eine, die jeder schaffen kann und die für die persönliche Reife sehr förderlich ist. So kommt man zu neuen Fähigkeiten, die man ohne weiteres nicht automatisch erlangt, nämlich das Leiten von Gruppen. Gruppen allerdings, die sich freiwillig bilden. Die aus ganz unterschiedlichen  Persönlichkeiten bestehen können. Die nur langfristig Bestand haben, wenn der Spaßfaktor nicht zu kurz kommt.

Mit der Fähigkeit, sich nützlich zu machen, bleibt man nicht lange unerkannt. Man wird für viele Aufgaben "wertvoll". Man wird angesprochen, ob man nicht eine weitere Aufgabe übernehmen möchte ...

Jetzt kann sich langsam jeder vorstellen, wie diese Spirale weiter geht.

Mit jeder Aufgabe ist eine Herausforderung verbunden, neue Fähigkeiten zu erlernen. Das Repertoire der Kenntnisse und Fertigkeiten erweitert und ändert sich. Dann kommt der Punkt, an dem Aufgaben beendet oder abgegeben werden sollten. Ein wichtiger Schritt, der verhindert, dass eine persönliche Überlastung entsteht.

Wenn man all dieses Hin und Her einige Male durchlaufen hat, entsteht auch hier eine Art Normalität. Eine Normalität, die - im Gegensatz zu manch anderer - spürbar gut tut.
Besonders angenehm empfinde ich persönlich jene Aufgaben, die mit ähnlich engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern gemeinsam abgewickelt werden. Ob jene im gleichen Verein sind oder auch nicht. Ob sie die gleiche Motivation haben oder eine andere. Es ist für mich sehr angenehm, etwas Sinnvolles mit Gleichgesinnten zu schaffen.

So bin ich, wieder mal eher aus Zufall, im April 2011 bei der Veranstaltung gewesen, auf der die Aktion "Bürger machen Stadt" vorgestellt wurde.

Für viele von uns war anfangs die Vielfalt der Informationen schwer zu verarbeiten. Obwohl ich unseren Sportverein in diesem Prozess nur vertreten sollte, rutschte ich, wie schon so oft, in neues Fahrwasser, womit ich ursprünglich gar nicht gerechnet hatte. Die Zusammenarbeit mit so vielen noch unbekannten Mitbürgerinnen und Mitbürgern war sehr interessant und versprach viele positive Verbesserungen für unser aller Quadrath-Ichendorf.

Inzwischen haben wir seit dem 22.3.2012 eine Internetseite von QI-Bürgern für QI-Bürger in Betrieb. Dort bin ich heute "QI-Redakteur" in einem achtköpfigen Redaktionsteam. Wir haben den eigenen Anspruch und auch die Aufgabe, die offizielle Internetseite unseres Stadtteiles zu sein. Das hat was, das kann ich Euch sagen.

Wer denkt, sich für einen Ort zu engagieren „… ist auch nur Arbeit …“, der hat es noch nicht erlebt. Gerade in einer „Informationen-Schaltzentrale“ wie einer Redaktion, da treffen sich so viele Eindrücke, Meinungen, kritische Überlegungen und Fakten über so ziemlich die gesamte lokale Stimmungslage, dass ich mir manchmal vorkomme, als ob das alles nur ein Traum sei.

Aber das ist es zum Glück nicht. Viele Eindrücke kann ich selber nicht deuten und verarbeiten. Da ist Gedankenaustausch und Beratung mit vernünftig denkenden Menschen notwendig. Da braucht man gelegentlich auch viel Geduld, weil für manche Themen keine kompetenten Gesprächpartner direkt zur Verfügung stehen.

Sicherlich klingt das alles sehr allgemein und vielleicht sogar abgehoben. Daher will ich jetzt einige Themen auflisten, die es ganz schön "hinter den Ohren haben":

  • wie bekommt man ein Gefühl dafür, wie die Mitbürger von QI „ticken“?
  • was ist für die Allgemeinheit in QI von Belang und was weniger?
  • was muss beachtet werden, damit der QI-Erneuerungsprozess gefördert wird?
  • welchen Einfluss haben politische Interessen auf unseren Stadtteilprozess?
  • wie können wir unsere Jugend erreichen?
  • welchen Stellenwert hat unsere Jugend in der Gesellschaft oder sollte sie haben?
  • wie würde sich die Gesellschaft und auch die lokale Wirtschaft verändern, wenn wir es schaffen QI „liebenswerter“ zu machen?

usw. usw. … Alles Themen um Ortsgestaltung, soziale Zustände, aber auch Ordnung und gesunden Mittelstand.

Was wir strikt ausklammern, ist eine politische und religiöse Einflussnahme. Das wäre pures Gift für eine Redaktion mit neutralen Ansprüchen.

Allerdings: ganz neutral ist niemand. Wir sind ganz bewusst für QI. Sonst gäbe es keine Motivation, sich zu engagieren.

Und dann sitzen wir im Sport abends gemütlich beisammen und klönen um die Wette. Keiner weiß warum – wir kamen auf das Thema „Bürger machen Stadt“.

Freund U. - gerade im Ruhestand angekommen - ist dabei, seine Antennen auf sinnvolle Tätigkeiten auszurichten. Da Freund U. aus der Kategorie „sehr wertvoll“ ist, sind wir alle sehr froh, dass er bei uns ist.

Und ausgerechnet U. stellt mir eine Frage von mittlerer Tragweite.

U.: „Lieber Harald, Du bist für QI sehr engagiert. Dafür bewundern wir Dich. Ich selbst habe jetzt auch eine Menge Zeit und würde mich gerne sinnvoll engagieren. Für QI zum Beispiel. Aber nenne mir nur einen Grund, warum ich für Quadrath-Ichendorf etwas tun soll!“

Donnerwetter! Mit so einer Frage hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich brauchte etwas Zeit, um in sämtlichen meiner Gehirnwindungen nach eine passenden Antwort zu suchen. Alle Kameraden, die an der Unterhaltung beteiligt waren, fühlten sich angesprochen. Wahrscheinlich kamen in den folgenden zehn Minuten alle Argumente auf den Tisch, die zu diesem Thema denkbar sind. Aber ich hatte das ungute Gefühl, dass der eine Grund für unseren Freund U. nicht dabei war.

U.s finale Frage spukt seitdem in meinem Kopf.

Solche kleinen Erlebnisse wirken manchmal wie der kleine Schneeball, der eine Lawine auslöst. Die U.-Frage stellte ich natürlich bei der nächsten Redaktionskonferenz. Für alle, die ihre Motivation gefunden haben, ist diese Frage eher verwunderlich. Daher war das Thema auch rasch vom Tisch.

Für mich bleibt die U.-Frage lebendig. Dafür muss ich unserem Freund U. eigentlich dankbar sein.

  • Was ist, wenn es in QI viele Mitbürger gibt, die ähnlich denken wie U.?
  • Was ist, wenn viele sich fragen, warum sie sich überhaupt für QI einsetzen sollen?
  • Wenn viele bereit wären,Sinnvolles für QI zu leisten, sich aktiv für die Gemeinschaft zu engagieren?
  • Aber noch keinen Grund finden, der Mühen, Zeitaufwendungen, Arbeit oder eventuell auch Ärger und Stress für sie rechtfertigt?
  • Vielleicht gibt es auch einfach nur andere Hürden: „Ich wäre ja gerneaktiv – aber ich möchte nicht vereinnahmt und überfordert werden.“

  • „Was habe ich oder die Meinen davon, wenn ich mich für QI einsetze?“
  • „Hat der Stadtteilprozess überhaupt eine Chance, etwas zu bewirken - oder ist das wieder so eine Fehlgeburt wie vor Jahren mit dieser merkwürdigen Agenda?“
  • „Hat die Lobby in Bergheim überhaupt ein Interesse daran, wenn sich QI weiter entwickelt?“
  • „Was können wir denn überhaupt bewirken?“
  • „Muss ich vielleicht Sachen machen, die ich nicht kann?“ ..…

Alles gerechtfertigte Überlegungen, die sicherlich bei vielen Mitbürgern für Unsicherheit und Zögern sorgen.

Heute, wo ich diese Geschichte von QI schreibe, bin ich an diesem Thema nicht viel weiter. Aber eines habe ich inzwischen begriffen: blinder Aktionismus eines Einzelnen rutscht leicht in den berühmten „Don-Quijote-Effekt“ ab. Das gleicht dem verzweifelten Versuch, gegen Windmühlen zu kämpfen. Dazu habe ich persönlich keine Lust.

Was aber sehr viel Erfolg verspricht, ist ein in kompetenter Runde überlegtes Ziel, was von mehreren geeigneten Personen getragen, verfolgt und realisiert wird. Alleine sind wir kaum in der Lage, alle Aspekte eines Themas zu erfassen und vernünftig zu bewerten. Dafür sind die heutigen Themen viel zu kompliziert. Das geht in Fachgruppen viel, viel besser.

Einen kleinen Bremsstein allerdings müssen wir im Team üblicherweise akzeptieren: wir brauchen etwas mehr Geduld, bis Entscheidungen getroffen werden - und: die Entscheidungen decken sich meistens nicht voll mit den eigenen Vorstellungen. Team-Ergebnisse sind meistens Kompromisslösungen, Mittelwege zwischen Extremvorstellungen der Einzelpersonen.

Und das ist gut so!!!

Was Freund U. mit seiner Frage ausgelöst hat, kann ich jetzt noch nicht komplett überschauen. Auf jeden Fall wird es eine Aufgabe werden, Mitbürger zu finden, die sich für QI einbringen möchten, deren Interessen und auch Fähigkeiten zu verstehen – und für jene einen Ort zu finden, an dem sie ihre Kraft und ihre Fähigkeiten mit innerer Überzeugung zum Wohle aller einbringen können.

Vielleicht weiß dann irgendjemand irgendwann einmal die Antwort auf die U.-Frage …

Harald Bous
September 2012