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"Quadrath. Nein nicht Quadrat. Und nein, es ist nicht viereckig. "

Es sind die 70iger, das Ende der Beatles-Ära und der Anfang für das Leben in Quadrath-Ichendorf zugleich. Mein Vater kam als Gastarbeiter nach Deutschland und fing als Glasblässer an zu arbeiten. Er war 20 Jahre alt, hatte keine Deutschkenntnisse und hatte die Möglichkeit, in einem fremden Land zu arbeiten. Es war, wie für jeden Gastarbeiter auch, die Chance auf ein besseres Leben. In einer Zeit ohne diverse Online-Hilfen oder Smartphones fing das fremde Leben an. Meine Mutter folgte ihm wenige Jahre später.

"Man wurde mit Trommel und Trompeten am Bahnhof empfangen."

 

quadrath1Meine Mutter und mein Vater, geboren und aufgewachsen in Izmir, einer der größten Städte der Türkei, eine Millionenstadt an der Ägäis, die Temperaturen liegen 9 Monate im Jahr über 20 Grad, laut und hektisch, jedoch eine Perle für sich - angekommen in Quadrath-Ichendorf. Es ist eine Umstellung, es ist ein Abenteuer, es ist etwas anderes.

"Man war nicht verloren."

Die Verständigung war das erste Problem, aber es war auch für eine sehr lange Zeit das einzige Problem. Das Leben in Quadrath-Ichendorf war in meinen Augen immer schon sehr viel weiter, fortschrittlicher, wenn nicht sogar zukunftsorientierter als das in den großen Städten. Die interkulturelle Interaktion hat funktioniert. An den ersten Tagen waren Hand- und Fußbewegungen die einzigen Hilfsmittel, und nach einer Zeit kamen die ersten vollständigen deutschen Sätze mit türkischem Akzent über die Lippen.

Viele lustige Geschichten schmücken die ersten Schritte in die deutsche Sprache. Das Zusammenleben mit den Nachbarn, die das gleiche Schicksal teilten, war sehr intensiv. Bekannte wurden zu Verwandten, Freunde zu Brüdern und Schwestern. Unsere deutschen Nachbarn teilten dieses Leben ebenfalls mit uns.

quadrath2Mark über uns wurde sogar, dank meines Vaters und unserer Nachbarn, ein Galatasaray-Istanbul-Fan und schrie auf seinem Fahrrad ständig "Cim bom bom!" (Fanruf/-gesang für Galatasaray). Unser Haus auf der Köln Aachener Straße war ein Chop Suey der Kulturen, und es war lecker. Meine Kindheit wurde nur durch den radioaktiven Niederschlag, der durch die Tschernobyl Katastrophe entstand, getrübt.

"Köln is en jeföhl, aber Quadrath ist einzigartig"

Die gesperrten Spielplätze, die zahlreichen Kaugummiautomaten, die gelben Telefonzellen, die Älteren und Jüngeren, die noch am Brunnen an der damaligen Gudrun Pausewang Grundschule saßen. Die Kinder spielten am Brunnen, hinten auf dem Schulhof spielten die größeren Kinder Fußball, und die noch größeren Kinder spielten später oben Basketball, und die Ältesten saßen auf den Bänken und sprachen miteinander. Vor allem die ständige Diskussion über die entstehenden Staus an der Kreuzung, wo ja jetzt schon seit Jahren der Kreisverkehr ist. Zur Karnevalszeit füllten wir unsere Tüten mit gefangenen Kamelle, mit denen wir alle Kinder aus den Nachbardörfern eifersüchtig machten.

Du kannst alle Internetseiten oder Navigationssystemen nach unserer Kippe absuchen, du wirst sie nicht finden. Ein Quadrather hat mindestens 20 Prozent seiner Kindheit dort verbracht. Vermutlich haben 30 Prozent aller Quadrather ihren ersten Kuss auf der Kippe gehabt. Vielleicht haben 10 Prozent aller Quadrather ihre erste Zigarette auf der Kippe geraucht. Eins ist aber sicher, 100 Prozent aller Quadrather haben auf der Kippe schon gegrillt oder ein Picknick genossen oder sind gar Schlitten gefahren.

" Integraaa... wie bitte? Nochmal"

Ich staunte nicht schlecht. Ein Fremdwort. Meine Schwester brachte mir, als ich ein Kind war, viele Fremdwörter oder auch Zitate bei, die sie in der Schule gelernt hatte. Ich las ihre Psychologie- oder Biologie-Lektüren, nur um Worte zu finden, die ich dann nachfragen kann. Der Begriff "Integration" stand im Mittelpunkt, zwar nicht in unserem Alltag, aber in den Medien. Wo lag das Problem? Warum ist es jetzt ein Thema? Es gab viele Debatten und viele meiner deutschen Freunde konnten mir das auch nicht erklären, da wir ohne Denkbarrieren zwischen verschiedenen Kulturen aufgewachsen sind und uns eigentlich recht gut eingegliedert haben in die Gesellschaft. Bei uns in Quadrath war es nie das Thema. Freitags gingen die türkischen, marokkanischen, tunesischen, bosnischen und albanischen Kinder in die Moschee beten und sonntags sind die deutschen, italienischen und spanischen Kinder dran gewesen. Bis 20 Uhr durfte man in der Wohnung springen und sonntags hat man die Musik über seine Kopfhörer genossen und sogar aufgepasst, dass der Fußball nicht gegen die Hauswand geschossen wird. Punkt.

Wir haben das Zusammenleben gelernt, erlernt und uns selber beigebracht.

Danke Quadrath-Ichendorf für diese Erfahrung.

Verfasser: Erhan Iyimli