Mein Buchtipp für MQI - Februar 2025
Lieber Gott als nochmal Jesus
Autor: Ilja Richter
erschienen im Elsinor / Coesfeld
„Licht aus! Spot an!“ Zumindest die Älteren werden sich sofort an die Musik-Kultsendung "Disco“ erinnern, die Ilja Richter in den 70er Jahren im Fernsehen moderiert hat. Wie also kommt so jemand auf die Idee, als inzwischen Ü70er ein Buch zu schreiben, das sich offensichtlich religiöse Themen anspricht? Und das auch noch mit einem Titel, den man nicht auf Anhieb versteht.
Die Antwort liegt in seiner Biographie. Vater Atheist, Mutter Jüdin, sodass Richter nach jüdischer Tradition ebenfalls Jude ist. Er wächst allerdings ohne jüdische Erziehung und Rituale in einem protestantisch geprägten Umfeld auf. Jetzt im hohen Alter begibt er sich als „Wanderer zwischen den Welten“ auf die Spurensuche nach seinen jüdischen Wurzeln. Dazu nutzt er verschiedene Stilmittel, von Erzählungen über Berichte aus seiner Familie, (fiktive?) Gespräche mit Prominenten, Gedichte bis hin zu skurrilen Begebenheiten aus dem jüdischen bzw. christlichen Milieu – mal ernst, mal mit Humor, auch schwarzem. Dazu aus diesem Kaleidoskop drei Beispiele:
Da möchte eine jüdische Frau an der Seite ihres christlichen Ehemanns mit jüdischen Ritual beerdigt werden. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn ein Rabbi darf auf einem christlichen Friedhof kein Begräbnis zelebrieren. Nach langen Überlegungen findet aber ein Pfarrer einen theologischen Trick, um den letzten Wunsch dieser Frau doch noch zu erfüllen. Dazu hier nur so viel: Der Trick erklärt den etwas seltsamen Titel des Buches.
An einer anderen Stelle schildert Richter ein (fiktives?) Interview mit dem Juristen Gregor Gysi über römisches Recht. In diesem wird dezidiert dargelegt, dass der Prozess, der zu Jesus Kreuzigung führte, ein rein römischer Prozess war, der nichts mit den Juden zu tun hatte. Richter und Gysi stellen daher am Ende halb im Scherz die Frage, ob dieser Prozess nicht vor einem internationalen Gerichtshof wieder aufgerollt werden sollte, damit die Juden endlich und endgültig das historische Image als „Christus-Mörder“ loswerden. Denn dieses hatte schließlich dazu geführt, dass die Juden in den christlich dominierten Länder über Jahrhunderte hinweg diskriminiert, verfolgt und vertrieben wurden.
Zum Schluss noch ein Beispiel aus dem christlichen Milieu, bei dem die meisten Menschen vermutlich aus dem Kopfschütteln nicht heraus kämen. Es betrifft einen katholischen Geistlichen aus Berlin, dem nach einem Unfall beide Beine amputiert werden mussten. Der damalige Berliner Bischof Meisner (später auch in Köln nicht unbekannt) wehrte sich danach jahrelang dagegen, dass dieser Priester ohne Beine weiterhin die Messe zelebrieren sollte. Grund: eine alte Stelle in der Bibel über das Idealbild des Priesters, zu dem auch die körperliche Unversehrtheit gehörte. Der in Berlin-Mitte sehr beliebte Priester blieb aber stur und setzte sich am Ende tatsächlich durch. So zeigt ein Foto auf der letzten Seite des Buches diesen Geistlichen, der ohne Beine mit verkürztem Ornat im Rollstuhl sitzend seinem Amt als Priester nachgeht. Begleitet von einem Kommentar aus der schwärzesten Ecke des schwarzen Humors.
Wer also auch einmal „Wanderer zwischen den Welten“ sein möchte, dem gibt dieses Buch Gelegenheit dazu.
Dieter Sauer
ISBN: 978-3-942788-88-5