Mein Buchtipp für MQI - Dezember 2024
Alibi für einen König
Autor: Josephine Tey
erschienen im Verlag Oktopus/Kampa
Krimis gibt es wie Sand am Meer. Es müssen also schon einige Besonderheiten dazu kommen, damit dieser sich aus der schieren Masse hervorhebt. Und in der Tat gibt es hier gleich mehrere spezielle Aspekte. So handelt das Buch zwar in der Gegenwart. Der zu lösende Fall spielt aber im 15. Jahrhundert. Dabei spielt Shakespeare eine entscheidende Rolle. Im Übrigen ist dieser Krimi, der in England erstmals 1951 erschienen ist, von der Crime Writer’s Association zum besten Krimi aller Zeiten gewählt worden (was aus heutiger Sicht sicherlich etwas übertrieben ist).
Um was geht es? Es geht um das „Alibi“ von König Richard III, der von Shakespeare in seinem gleichnamigen Drama als wahres Monster beschrieben wird, das nicht nur seinen ältesten Bruder, König Eduard IV, ermordet ließ, sondern der auch seine beiden Neffen als potentielle Thronnachfolger im Tower auf Nimmerwiedersehen verschwinden ließ, um selbst König zu werden.
Das Bild, das Shakespeare von Richard III gezeichnet hat, hat jahrhundertelang die Geschichts- und Unterrichtsbücher geprägt. Erst die jüngere Forschung hat aufgezeigt, dass an dieser Geschichte nichts stimmt / stimmen kann. Richard III ist in der Schlacht von Bosworth ums Leben gekommen (mit dem Ausruf lt. Shakespeare: „Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd!“) und der „Verräter“, der die gegnerischen Truppen ins Feld geführt hatte, wurde als Heinrich VII der erste Tudor-König. Diesem war aus naheliegenden Gründen sehr daran gelegen, seinen Vorgänger so stark wie möglich zu verleumden. Da Shakespeare zur Zeit der Tudor-Dynastie auf der Grundlage der Tudor-Berichte über Richard III geschrieben hat, wusste er offenbar, „wessen Lied er zu singen hatte“.
Der originelle Ansatz dieses Buches liegt nun darin, dass der Protagonist dieses Buches, Kriminalkommissar Alan Grant, im Krankenhaus liegt und tierisch Langeweile hat. Man rät ihm, von dort aus einen ungelösten Fall aus der Vergangenheit zu lösen und legt ihm dazu verschiedene historische Portraits vor. Beim Anblick des Bildes von Richard III kommt Grant zu dem Ergebnis, dieser sehe so gar nicht wie ein Mörder aus, als der er immer dargestellt würde. Und so fängt er an, das Rätsel der verschwundenen Kinder aus dem Tower zu lösen. Der erzählerische Trick der Autorin besteht insofern darin, dass der Kommissar den Part der neueren Forschung übernimmt, d.h. Grant untersucht und interpretiert mit Hilfe eines Freundes eine Vielzahl von historischen Quellen, um dann einen Puzzlestein an den anderen zu fügen, bis klar ist, dass nicht Richard, sondern der Tudor-König das eigentliche „Monster“ ist. Daher stellt Grant König Richard III am Ende von allen Verleumdungen frei.
Fazit: Ein origineller Krimi-Ansatz, der aber primär für Personen interessant ist, die sich für geschichtliche Themen interessieren. Dabei stellt sich für die Leser das Problem, dass es in den früheren Herrscherhäusern von Richards, Heinrichs, Eduards, Elisabeths usw. nur so wimmelt. Tipp: Man sollte sich daher parallel zum Lesen eine kleine Liste erstellen, um im Einzelfall nicht den Überblick zu verlieren.
Hier eine kleine Einstiegshilfe:
1. König Heinrich VI aus dem Hause Lancester, geistig verwirrt und später ermordet
2. Nachfolger:
Eduard IV (aus dem Hause York), verheiratet mit Elisabeth Woodville
- Söhne: Eduard und Richard (minderjährig, zu Bastarden erklärt, verschwinden im Tower)
- Brüder: George von Clarence und Richard von Gloucester
3. Nachfolger und Hauptfigur:
Richard von Gloucester, jüngster Bruder von Eduard IV, später König Richard III
4. Gegner und Nachfolger:
Heinrich Tudor aus dem Hause Lancester
besiegt Richard III in der Schlacht von Bosworth, danach wird er König Heinrich VII
er heiratet Elisabeth von York, Tochter des früheren Königs Eduard IV
(deren gemeinsamer Sohn ist übrigens der berühmt-berüchtigte Heinrich VIII).
Dieter Sauer
ISBN: 978-3-311-30050-2