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Jazz - Weltmusik in Gleis11 am 1.5.22

Als wäre Gleis11 nicht ohnehin schon ein zauberhafter Veranstaltungsort! Am Sonntag, dem Tag der Arbeit, konnte man einen kunstvollen Bühnenhimmel mit funkelnden Sternen und wandernden Milchstraßen bewundern und sich seinen Träumen hingeben. Das allein war schon das Eintrittsgeld Wert!

 

Unter diesem Himmel verzauberten Eva Müller und Stefan Michalke das Publikum mit ihrer Musik, die sich gar nicht so leicht einordnen lässt. Jazz? Ja, angereicherte Harmonien, vokale und instrumentale Improvisationen. Weltmusik? Ja, sphärische Klänge, Eintauchen in fremde Kulturen.

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Die beiden Musiker kamen mit einigem Equipment auf die Bühne. Stefan Michalke brachte mit: ein Akkordeon, ein Fender Rhodes Piano, einen Korg-Synthesizer. Eva Müller arbeitete mit einem Looper, der ihre Stimme vervielfältigen konnte, diversen Gesangseffekten und einer Ocean Drum, mit der sie uns an ferne Strände entführte. Aber den gewaltigsten Eindruck machte nicht die Technik, sondern ihre Stimme: Sie entführte einen mit lyrischen Kantilenen in entlegene Phantasiewelten, ihr Stimmvolumen, ihre Phrasierung, ihre unangestrengte Intonation verschafften den Zuschauer*innen ein traumhaftes Musikerlebnis.

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Die Texte, überwiegend von Eva Müller, forderten diese Art der musikalischen Aneignung zwingend heraus. Naturerleben stand im Vordergrund: In „La Gare“ haben zwei Vögel zueinander und zu ihrem Stammbahnhof gefunden. In „Elfen“ geht es um unser geschundenes Verhältnis zur Natur; die Waldbewohner*innen werden langsam ein bisschen ärgerlich, weil die Menschen den Bezug zur Natur verloren haben.

Neben den eigenen Stücken, bei denen Stefan Michalke als kongenialer Komponist die Basis legte, interpretierten die beiden auch Jazz-Klassiker. Bei „Nature Boy“, dem anrührenden Song von Nat King Cole, wandelt „a very strange enchanted boy“ durch die Welt und gibt einen betörenden Ratschlag: „The greatest thing you′ll ever learn Is just to love and be loved in return”.

“Besame Mucho” (“Küss mich ganz fest!“) interpretierte Eva Müller sehr emotional und berührend, ihre Beat-Box-artige Vokalimprovisation gab diesem mexikanischen Liebeslied eine ganz eigene Note.

Eva Müller verzauberte nicht nur durch ihre Stimme. Ihre tänzerischen Bewegungen – z.B. bei „La Gare“ mit ihren Vogelflugbewegungen – kommentierten einige der Songs choreografisch hinreißend.

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„Slow Boat“ heißt ein anderes eigenes Stück. Stefan Michalke berichtet von einer Reise nach Myanmar 2003, von einer langen 16-Stundenfahrt auf dem Fluss, ohne Essen – Slow Boat. Im Text geht es um Entschleunigung, der Song kommt aber eher rhythmisch beschwingt, flotter als andere Songs, er spielt quasi ein bisschen gegen den Titel an – originell!

MüllerMichalke brachten vor allem Stücke ihres Debut-Albums „Insight“, nach der Pause auch Songs eines noch unveröffentlichten Albums. Wer genaueres wissen, hören und sehen will, sollte ihre sehr gut gestaltete Website besuchen: www.muellermichalke.com

Was haben wir am Sonntagabend gesehen: Zwei Musiker, die sich mit ihrer Passion und ihrem Können dem Mainstream erfolgreich widersetzen. Und einen Veranstaltungsort, Gleis11, der nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der anspruchsvollen Hochkultur verpflichtet ist.

 

Bernd Woidtke

Videoausschnitte des Abends